Friedenspreis für Störenfriede.
Wir freuen uns über die Auszeichnung mit dem Friedenspreis. Es ist wunderbar zu sehen, dass ehrenamtliches Engagement gewürdigt wird und dass unser Einsatz für diejenigen, die Hilfe benötigen, Anerkennung findet. Es gibt immer noch Menschen in unserem Land, die nicht versichert sind und daher keine medizinische Versorgung in Anspruch nehmen können. Wir setzen uns dafür ein, dass das nicht so bleibt und wollen auch auf politischer Ebene darauf aufmerksam machen und stören, sodass sich auch langfristig etwas ändert.
Vielen Dank auch an alle Partner, die mit uns zusammenarbeiten, insbesondere an die behandelnden Ärzte und Ärztinnen, die ihre Arbeitskraft kostenlos zur Verfügung stellen. Hier ist die originale Laudatio vom Chemnitzer Friedenspreis.
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe unermüdlich Aktive,
ist es nicht ein gutes Gefühl in einem Land zu leben, das so reich ist,
dass keiner durchs Raster fallen muss? Wenn doch, gibt es ja Hilfe,
auch von Ehrenamtlern. Eine heile Welt! – Nein wahrlich, eine heile Welt
ist unser Deutschland nicht.
Es ist ein ziemlich ungerechtes Land. 10 % aller Haushalte haben 60 %
des Gesamtvermögens. In diesen Haushalten fällt selten einer durchs
Raster. In den übrigen 90 % schon. Arbeitslos, verschuldet, krank…
Glücklicherweise gibt es Unzählige, die sich für Menschen in solchen
Situationen engagieren. Sie helfen, sie heilen – aber wird unser Land
davon gerechter?
– Es ist nicht gerecht, wenn man seinen Kindern kein gesundes Essen
kochen kann und auf Almosen angewiesen ist, um zu überleben.
– Es ist nicht gerecht, für einen Hungerlohn schwer schuften zu müssen.
– Es ist nicht gerecht, sich die Beiträge für eine Krankenversicherung
nicht leisten zu können.
Wir haben einen Verein kennengelernt, der sich aus dem Mosaik aller
möglichen Ungerechtigkeiten in diesem Land einen Stein
herausgenommen hat. Für Betroffene sind die Mitglieder dieses Vereins
Heiler in ihrer miserablen Situation. Für das ungerechte System sind sie
Störenfriede.
Der Mosaikstein, den sie aus der Welt schaffen wollen, heißt: fehlende
medizinische Versorgung mangels Krankenversicherung. Mangels
Krankenversicherung? – werden Sie sich fragen. Bei uns ist doch jeder
und jede krankenversichert! Seit 2009 gibt es sogar eine
Krankenversicherungspflicht. Richtig – und trotzdem sind sie da:
zehntausende in Deutschland sind nicht krankenversichert:
Selbständige, Asylbewerber, Obdachlose, Verschuldete.
Ein Verein in Chemnitz hat es sich zur Aufgabe gemacht, denen in
dieser Stadt zu helfen, die keine medizinische Versorgung in Anspruch
nehmen können, weil sie nicht versichert sind.
Seit über 3 Jahren bauen sie in mühevoller Kleinarbeit an einem
Netzwerk kooperierender Ärzte und Therapeuten, die bereit sind,
Betroffenen medizinische Behandlung zu gewähren – auch wenn sie
nicht wissen, wer es bezahlt. Dafür hat der Verein sämtliche
niedergelassenen Ärzte in Chemnitz angeschrieben. Das sind so um die
500. Sie haben auch wirklich in den wichtigsten Fachrichtungen
Ärztinnen und Ärzte gefunden.
Aber bitte, es dürfen noch mehr werden! Die Zahl der Betroffenen ist
nämlich steigend.
Schwieriger wird es, wenn jemand ins Krankenhaus muss. Wer zahlt die
Kosten, die natürlich viel höher sind? Auch dafür finden sie immer
wieder Lösungen. Und auch wenn die vorhandenen Spenden bei
weitem nicht genügen.
Der Verein ist über ein Beratungstelefon rund um die Uhr erreichbar. Für
jeden, der sich an ihn wendet, wird versucht, Wege zu finden, um zu
einer Krankenversicherung zu kommen. Manchmal sind es „nur“
bürokratische oder juristische Hürden, die zu überwinden sind.
Soweit die Arbeit der Vereinsmitglieder als Heiler.
Doch wie steht es um ihr Engagement als Störenfriede?
Da sind sie nicht allein. Sie haben sich vernetzt mit Gleichgesinnten in
Sachsen und darüber hinaus. Erstes Ziel ist ein sog. Anonymer
Behandlungsschein, um kurzfristig für jeden und jede einen Zugang zum
Gesundheitssystem zu ermöglichen.
Und das zweite Ziel: Die Abschaffung des Vereins. Klar, wenn für alle,
ohne Einschränkung, ohne dass einer fragt, wer es bezahlt,
medizinische Versorgung möglich ist, dann gäbe es sie doch „die heile
Welt“, wenigstens bezogen auf diesen Stein des Mosaiks der
Ungerechtigkeiten in diesem Land. Dann braucht es das Medibüro
Chemnitz nicht mehr.
Der dritte Preis des Chemnitzer Friedenspreises 2023 geht an den
Verein Medibüro Chemnitz e. V.